Die Berufsbildung ist das Rückgrat der Bündner Wirtschaft
10.11.2024
Die Berufsbildung ist ein zentraler Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz. Ich würde sogar behaupten, dass sie in Graubünden das Rückgrat der Wirtschaft bildet. Ohne Berufsbildung in den Regionen könnte die regionale Wirtschaft nicht existieren. Deshalb ist die Berufsbildungspolitik eine wichtige Säule der Wirtschaftspolitik. Die Berufsbildung ist eine entscheidende Massnahme, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Darüber hinaus kann sie in Zukunft einen wichtigen Beitrag dazu leisten, Graubünden als attraktiven Wohn- und Arbeitsort zu positionieren.
Die Berufsbildung in Graubünden ist bereits solide aufgestellt, wie die Ergebnisse der Lehrbetriebsumfrage und die Analyse der Kennzahlen zeigen. Die QV-Abschlussquote, die «Gymi-Quote» und die Lehrvertragsauflösungsquote sind seit 20 Jahren stabil. Es lässt sich zudem beobachten, dass auf verschiedenen Ebenen der Berufsbildung in Graubünden viel Engagement vorhanden ist. Um das Potenzial der Berufsbildung jedoch noch besser auszuschöpfen, müssen alle involvierten Akteure künftig verstärkt in die Berufsbildung investieren. Unser gemeinsames Ziel muss es sein, Graubünden als Berufsbildungskanton zu positionieren. Graubünden soll mit seiner qualitativ hochstehenden und zukunftsgerichteten Berufsbildung führend werden. Dies ist der Anspruch, den der BGV sich selbst im Rahmen der Strategie «Berufsbildung Graubünden 2035» gesetzt hat.
Unterschiedliche Herausforderungen
Die aktuell grösste Herausforderung im Bündner Berufsbildungssystem ist der starke Rückgang an Lernenden. Zwischen 2008 und 2021 sank die Anzahl Schulabgänger/innen von fast 2500 auf 1500. Entsprechend überrascht es nicht, dass viele Lehrbetriebe über fehlende Lernende klagen. Bis 2035 wird die Anzahl der Schulabgänger/innen stabil bleiben, jedoch mit Unterschieden zwischen den Regionen. Laut Prognosen wird das Bevölkerungswachstum im Vergleich zu den umliegenden Kantonen aber deutlich geringer ausfallen. Trotz stabiler Maturitätsquote von rund 20 % nimmt der «Gymi-Druck» zu, während das Interesse an Berufen im Gewerbe und der Industrie abnimmt. Die topografischen und sprachlichen Gegebenheiten stellen besondere Herausforderungen für die Berufsbildung in Graubünden dar. Lernende haben oft weite Anfahrtswege, und Berufsfachschulen zählen nur wenige Lernende pro Berufsgang. Die Mehrsprachigkeit ist eine besondere Herausforderung für den Unterricht und die überbetrieblichen Kurse. Zudem müssen Bildungsinstitutionen auf einem begrenzten Arbeitsmarkt in Graubünden mit rund 100 000 Arbeitstätigen kostendeckende Weiterbildungsangebote schaffen. Allgemein kann die Steuerung der Berufsbildung in Graubünden als schwach, die Strukturen als kleinräumig und die Zusammenarbeit als ausbaufähig beurteilt werden. Einerseits entspricht dies der Kultur der kurzen Wege und der natürlichen Vernetzung im Kanton. Andererseits stellt die schwache Steuerung angesichts der Herausforderungen im Bereich der Berufsbildung einen Nachteil dar.
Strategie als Roadmap
Die Berufsbildungsstrategie wurde von der neu eingesetzten Berufsbildungskommission des BGV erarbeitet. Sie bildet die Grundlage, um die Berufsbildung im nächsten Jahrzehnt zu stärken. Im Sinne einer Roadmap umfasst sie 73 verschiedene Massnahmen. Selbstverständlich werden diese priorisiert. Die neue Strategie umfasst vier Handlungsfelder. Erstens soll die Berufsbildung in den Schulen und den Familien besser anerkannt werden und Graubünden mittels Kommunikationsaktivitäten als Berufsbildungskanton positioniert werden. Die Berufsbildung in den Schulen soll ausgebaut werden. Zweitens sollen Ausbildungsbetriebe in ihrer Ausbildungsarbeit unterstützt und begleitet werden, so dass die bereits gute Ausbildungsqualität gesteigert werden kann. Die Betriebe sind die zentrale Säule der Berufsbildung. Für die Qualitätsentwicklung und für Angebote zuhanden der Ausbildungsbetriebe soll ein branchenübergreifendes Kompetenzzentrum geschaffen werden. Drittens sollen die Strukturen und das Netzwerk gestärkt und auf die Zukunft ausgerichtet werden. Viertens sollen Entwicklungen in der Berufsbildung proaktiv vorangetrieben werden. Die Berufsbildung ist bekanntlich ein System ohne zentrale Steuerung. Die Verbundpartner/innen aus Wirtschaft und Staat haben jeweils ihre eigenen, sich ergänzenden Rollen und Aufgaben. Daher ist es enorm wichtig, dass die Kommunikation zwischen den verschiedenen Partner/innen gut funktioniert. Eine zentrale Aufgabe des BGV besteht darin, alle relevanten Partner/innen der Berufsbildung zusammenzubringen. Entsprechend enthält die Strategie auch verschiedene Massnahmen zur Stärkung des Austauschs und der Zusammenarbeit. Nur gemeinsam kann die Berufsbildung in Graubünden weiter gestärkt werden.
Innovationen, Qualität und Finanzierung
Das Ziel, Familien, Lernende und Absolventen der höheren Berufsbildung nach Graubünden zu holen, ist ambitioniert, aber nicht unmöglich. Ein Beispiel ist die neue Lehre zur Hotelkommunikationsfachperson: Rund die Hälfte der Lernenden in diesem neuen Beruf kommt von ausserhalb des Kantons, dank des integrierten Angebots der EHL-Passugg mit Blockunterricht und Wohnmöglichkeiten. Um Graubünden attraktiver zu machen, müssen wir innovativer werden, die Qualität steigern und mehr integrierte Angebote für ausserkantonale Lernende schaffen. Die hervorragende Berufsbildung muss sichtbarer werden – daher muss die Kommunikation innerhalb und ausserhalb des Kantons aufgebaut werden. Was es selbstverständlich auch braucht, ist eine genügende Finanzierung – vonseiten der Wirtschaft und von der öffentlichen Hand. Der Grosse Rat hat mit der Überweisung des Auftrags Heini hierfür die Regierung bereits beauftragt «die Finanzierung der Berufsbildung auf allen Stufen angemessen zu erhöhen». Um Graubünden als Berufsbildungskanton zu positionieren und damit Zuzüger/innen gewinnen zu können, braucht es innovative Ansätze, Qualität und die nötige Finanzierung. Neben der Bildungspolitik ist natürlich auch die Raumplanungs- und Steuerpolitik zentral, um Zuzüger/innen zu gewinnen.