Der Tourismus bleibt ein zentrales Standbein der Wirtschaft

Marcus Caduff

Die Wertschöpfungsstudie des kantonalen Amts für Wirtschaft und Tourismus zeigt die aktuelle volkswirtschaftliche Bedeutung der Tourismusbranche in Graubünden. Mehr als jeder vierte Franken wird im Tourismus erwirtschaftet: direkt oder indirekt. Regierungsrat Marcus Caduff freut sich über die positiven Erkenntnisse, sagt aber auch, dass sich der Tourismus auch künftig weiter anpassen müsse.

Graubünden ist der Schweizer Ferienkanton schlechthin. Der für den Tourismus zuständige Volkswirtschaftsdirektor Marcus Caduff spricht mit dem «Bündner Gewerbe» über die neue Wertschöpfungsstudie, die Wintersaison 2023/24 und die Zukunft des Tourismus in unserem Kanton.

Sie sind sozusagen der Tourismusminister des Kantons. Wie geht es dem Tourismus in Graubünden?
Die wirtschaftliche Lage in Graubünden ist gut. Der Tourismus ist gestärkt aus den Krisen der letzten Jahre gekommen.

Wie gross ist der Stellenwert in der Bündner Volkswirtschaft?
Die neue Wertschöpfungsstudie (siehe Kasten, die Red.) zeigt, dass die Bruttowertschöpfung des Tourismus bei vier Milliarden Franken liegt, was 26,5 Prozent der kantonalen Wirtschaftsleistung entspricht. Bei den Arbeitsplätzen liegt der Anteil des Tourismus sogar höher. Rund 33 000 Vollzeitstellen hängen direkt oder indirekt davon ab.

Trotzdem ist die Wertschöpfung des Tourismus für die Wirtschaft in den letzten 15 Jahren leicht gesunken – von 30 Prozent auf 26.5 Prozent. Hat der Tourismus an Bedeutung verloren?
Proportional hat sie abgenommen, das ist korrekt. In den letzten 15 Jahren hat die Wertschöpfung im Tourismus aber von 3,3 auf 4 Milliarden Franken zugenommen, ist in absoluten Zahlen gewachsen. Andere Bereiche der Wirtschaft sind aber stärker gewachsen, erbringen einen grösseren Wertschöpfungsanteil. Die Wirtschaft Graubündens ist dadurch diverser und breiter aufgestellt. Dies ist auch das Ziel unserer Wirtschaftspolitik.

Welche Branchen werden künftig der Bündner Wirtschaft zum Wachstum verhelfen?
Wir haben mit den bestehenden Unternehmen im Medizinal- und High-Tech-Bereich eine gute Grundlage. Auch die Optik- und Sensorik-Industrie hat eine gute Dynamik. Es ist wichtig, dass international tätige Unternehmen im Kanton investieren. Die Cluster-Bildung erhöht die Attraktivität Graubündens und zieht weitere Unternehmen und vor allem Fachkräfte an. Im Clean- und Green-Tech-Bereich sehe ich durchaus noch Potenzial für eine positive Entwicklung. Wir können mit unserer Kostenstruktur aber nur bestehen, wenn wir innovationsstarke Unternehmen bei uns anzusiedeln versuchen. Darum betreiben wir eine intensive Zusammenarbeit mit Universitäten, der ETH und weiteren Organisationen. Der Wissenstransfer zwischen Forschung, Entwicklung und Wirtschaft ist zentral in der heutigen Welt.

Zurück zum Tourismus, der weiterhin primär vom Wintergeschäft lebt. Hier hat sich nicht viel verändert?
Ja, der Bündner Tourismus ist noch immer stark von den Schneeangeboten abhängig. Dieses Standbein dürfen wir nicht schwächen, es muss aber gelingen, die anderen Monate besser auszulasten. Ganzjahresangebote sind wichtig, um die Abhängigkeit des Wintergeschäfts zu reduzieren.

Was hat Sie bei der neuen Tourismusstudie am meisten überrascht?
Die Bedeutung der Zweitwohnungen und der Ferienwohnungen bei den Logiernächten ist eindrücklich. Pro Jahr haben wir rund 19 Millionen übernachtende Gäste im Kanton, davon etwa 8.3 Millionen in eigengenutzten Ferienwohnungen sowie 4.1 Millionen in der Parahotellerie. Zum Vergleich: Die Hotellerie zählt rund 5.5 Millionen Logiernächte. Die Parahotellerie ist ein unterschätzter Leistungserbringer. Zweitwohnungsbesitzer investieren pro Jahr fast eine Milliarde Franken. Es ist eine eindrückliche Zahl, umso mehr, als dass der Grossteil dieser Investitionen durch Bündner Unternehmen ausgeführt werden darf.

Ist die klassische Hotellerie nicht so wichtig für Graubünden?
Das würde ich überhaupt nicht sagen. In der klassischen Hotellerie wird pro Übernachtung eine grössere Wertschöpfung erzielt, und sie bietet rund 10 000 Arbeitsplätze im Kanton. Man darf Hotellerie und Parahotellerie nicht gegeneinander ausspielen. Der Mix der Übernachtungsarten ist vielmehr eine Stärke Graubündens.

Insbesondere die 4- und 5-Stern-Hotellerie hat sich in den letzten Jahren positiv entwickelt.
Sie ist zweifelsfrei ein Treiber im Tourismus. Für mich hat das mit unserer Kostenstruktur zu tun. Mit dem Massentourismus können wir preislich nicht mithalten. In der Hotellerie haben wir weniger Logiernächte als vor 20 Jahren, dafür ist die Wertschöpfung gestiegen. In den letzten Jahren wurde viel in die Qualität der Bündner Hotellerie investiert. Diese Qualität hat ihren Preis. Ich möchte die Bedeutung der anderen Segmente aber nicht schmälern, auch sie braucht es. Nicht alle Leute können oder wollen sich einige Hundert Franken pro Nacht für ein Hotelzimmer leisten.

Warum kommen die Gäste in Zukunft noch nach Graubünden?
Unsere Hauptstärke ist unsere Landschaft. Was wir zu bieten haben an Vielfalt, Kulinarik und Kultur, das sind unsere Trümpfe. Die Diversität der Angebote ist eine weitere Stärke des Tourismus in Graubünden.

Wenn wir nochmals zurückblicken: Was waren die Herausforderungen des Tourismus in den letzten Jahren?
Themen wie Globalisierung, Individualisierung und Digitalisierung haben den Bündner Tourismus beeinflusst. Die Demografie und damit die Arbeitskräfteproblematik ist eine Herausforderung und wird noch zunehmen. Der Tourismus ist auch vom Klimawandel betroffen und muss sich diesem stellen. Weitere Herausforderungen waren sicherlich der starke Franken und Corona. Doch ich meine, der Tourismus ist gestärkt aus diesen Krisen gekommen. Zur positiven Entwicklung beigetragen hat auch die Tatsache, dass die Inflation in der Schweiz tiefer als in den umliegenden Ländern und den unmittelbaren Konkurrenten Österreich, Deutschland oder Italien war. Zentral ist, wie schon erwähnt, dass man in
Qualität investiert hat. Der Gast ist bereit, den Preis dafür zu bezahlen.

Das tönt alles sehr gut. Wo sind die Schwächen im Tourismus zu finden?
Die grösste Schwäche unseres Tourismus ist die Kleinstrukturiertheit. Wir haben viele kleine Betriebe. Damit ist es schwierig, gewisse Herausforderungen zu meistern. Ich denke an die Digitalisierung und die Daten der Gäste, die man über alle Leistungserbringer hinweg nutzen sollte. Grössere Betriebe haben es einfacher, wenn sie aufgrund des Arbeitskräftemangels Abläufe automatisieren möchten.

Kommen wir zur Tourismusförderung. Das Tourismusprogramm 2014 – 2023 ist ausgelaufen. Es wurde von der Bündner Regierung lanciert, um gezielte Impulse in der Tourismuswirtschaft zu setzen. Was hat das Programm gebracht?
Es konnten über 70 Projekte mit einem Fördervolumen von 15,5 Millionen Franken unterstützt werden – ein Erfolg. Es konnten diverse destinationsübergreifende Programme und Angebote geschaffen werden. Trail Running ist ein Beispiel. Aufgrund unserer kleinen Strukturen ist es wichtig, dass in der Zusammenarbeit Impulse gesetzt werden können. Am einfachsten ist sie an konkreten Angeboten festzumachen, die über die Destination hinausgehen.

Was ist die künftige Rolle des Kantons in der Tourismusförderung?
Die Digitalisierung bleibt ein wichtiges Thema. Es sind Investitionen über die Leistungserbringer hinaus nötig. Aktuell sind wir dabei, eine Tourismusstrategie zu erarbeiten. Sie ist eine Art Orientierungsrahmen für alle, die sich im Tourismus betätigen. Darin sind Handlungsfelder definiert, in denen wir Impulse setzen können. Der Kanton kann aber keine Strategie umsetzen. Das müssen die Tourismus-Akteure tun. Sie müssen Angebote schaffen. Ich möchte die Erwartungen bezüglich Tourismusstrategie und -förderung nicht zu hoch ansetzen. Ansonsten müsste man mehr Mittel einsetzen. Möchten wir dies wirklich?

Lassen wir diese Frage unbeantwortet. Wenn man wie Sie in Graubünden wohnt, kann man viele touristischen Angebote geniessen. Was ist Ihr Highlight ausserhalb der Lumnezia?
Das gibt es nicht (lacht). Nein, wir haben einen wunderschönen Kanton. Sei es auf dem Dreibündenstein, auf der Lenzerheide, im Prättigau oder dem Engadin, mir gefällt es überall. Ich fühle mich in unserem Kanton zu Hause.

Es gibt aber sicher eine Entdeckung, die Sie als Geheimtipp für eine Bike-Tour verraten können?
Es gibt tatsächlich eine Tour, die ich im letzten Sommer auf dem Bike entdeckt habe und die mich sehr positiv überrascht hat. Von Chur auf die Rhäzünser Alp, über den Heinzenberg und den Bischolpass hinunter ins Safiental. Im unteren Teil befindet sich ein super Flow-Trail, den ich nicht erwartet hatte und den ich nur weiterempfehlen kann.

Wertschöpfungsstudie Tourismus Graubünden

Die im Auftrag des Kantons durchgeführte Studie zeigt, dass der Tourismus in Graubünden nach wie vor eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung hat. Mehr als 30 Prozent aller Arbeitsplätze (33 000 Vollzeitstellen) im Kanton sind direkt oder indirekt mit dem Tourismus verbunden. Jeder vierte Franken (4 Mrd. CHF), der in der Volkswirtschaft generiert wird, ist
tourismusbezogen. Graubünden verzeichnet jährlich 4,7 Millionen Tagesgäste und 19,1 Millionen Übernachtungen, davon werden 5,5 Millionen in der Hotellerie generiert. Zur Wertschöpfungsstudie: https://www.wertschoepfung-tourismus-graubuenden.ch/

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