Arbeitskräftemangel: Ein demografisches Problem, aber nicht nur
22.03.2023
Graubünden wird in der Schweiz in den kommenden 20 Jahren voraussichtlich am stärksten vom Arbeitskräftemangel betroffen sein. Gemäss der prognostizierten demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung wird im Jahr 2040 rund jeder fünfte Arbeitnehmer in Graubünden fehlen. Der Wettbewerb unter den Arbeitsstandorten dürfte künftig in ganz Europa stark zunehmen. Dem Arbeitskräftemangel in Graubünden entgegenzutreten ist daher eine Generationenaufgabe. Entsprechend ist die kantonale Politik in allen Bereichen konsequent auf den Arbeitskräftemangel auszurichten. Die Betriebe sind gefordert sich als attraktive Arbeitgeber auf dem Arbeitsmarkt zu positionieren. Dadurch kann sich Graubünden als attraktiver Arbeits- und Wohnort positionieren.
Die Situation ist für viele Betriebe herausfordernd. Der Arbeitskräftemangel eröffnet den Betrieben auch gewisse Chancen. Sie können sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, die Automatisierung und Digitalisierung vorantreiben und dadurch die Wertschöpfung steigern. Was die Privatwirtschaft ausmacht ist der effiziente Umgang mit knappen Ressourcen, sofern denn die staatlichen Rahmenbedingungen stimmen. Jeder einzelne Betrieb muss künftig seinen Weg finden, um mit der knappen Ressource Mensch umzugehen. Die Bündner Wirtschaft verfügt grundsätzlich über gute Rahmenbedingungen. Die Bündner KMUs können sich dem Arbeitnehmermarkt stellen, denn sie sind gut aufgestellt. Gefragt sind innovative Ideen und liberale wirtschaftliche Rahmenbedingungen.
Der Arbeitskräftemangel betrifft nicht nur Graubünden, sondern ganz Europa. Der Hauptgrund ist der demografische Wandel. Die Themen Steuerpolitik, Migrationspolitik und die Geldpolitik spielen dabei aber eine nicht zu unterschätzende Rolle.
- Neben der demografischen Entwicklung ist der Teilzeittrend eine wichtige Ursache für den Arbeitskräftemangel. Die Tendenz zu immer mehr Teilzeitarbeit ist für den Einzelnen durchaus nachvollziehbar, volkswirtschaftlich aber eine grosse Herausforderung. Es ist zentral, dass sich Arbeit auch in Zukunft lohnt. Die steuerlichen Anreize müssen entsprechend so gesetzt werden, dass man steuerlich besser fährt je länger und je mehr man arbeitet. Die Steuerprogression muss – wenn nicht ganz abgeschafft – dann im Kontext zum Arbeitspensum gesetzt werden. Dabei ist nicht das reelle, sondern das potenzielle Einkommen zu berücksichtigen. Ebenfalls muss die Steuerprogression nach der ordentlichen Pensionierung, wenn man die Altersrenten (teilweise) bezieht und trotzdem weiterarbeiten möchte, ausgesetzt werden.
- Die Migrationsfrage wird uns auch in den kommenden Jahrzehnten politisch herausfordern. Neben der hochpolitischen quantitativen Frage sollte die qualitative Frage in der Migrationspolitik an Bedeutung gewinnen. Es geht nicht nur darum, wie viel Zuwanderung wir möchten, sondern vor allem auch darum, welche Art von Zuwanderung wir möchten. Unsere Migrationspolitik sollte erstens besser steuerbar sein und zweitens die Integration in den regulären Arbeitsmarkt in den Fokus stellen. Es ist wichtig die geordnete Arbeitsmigration aus Drittländern auszubauen und gleichzeitig die irreguläre Armutsmigration einzudämmen. Beides muss zusammengehen, um politische Mehrheiten zu schaffen. Die Länder, die bereit sind irreguläre Migranten zurückzunehmen, sollten einen verbesserten Zugang zum Schweizer Wirtschafts- und Arbeitsmarkt erhalten. Die Migrationspartnerschaften sollten im Hinblick auf den Arbeitsmarkt weiterentwickelt werden und es sollte geprüft werden, ob und wie diese mit Freihandelsabkommen verknüpft werden können. Angesichts der entgegengesetzten demografischen Entwicklung in Europa und Afrika ist eine realistische und langfristige Migrationsstrategie unverzichtbar.
- Die Nationalbanken haben in den letzten Jahren durch ihre Geldpolitik und die damit einhergehenden Geldschwämme auf den Märkten den aktuellen Nachfrageüberschuss angeheizt. Eine Folge davon ist nicht nur die Inflation, sondern auch eine beinahe Vollbeschäftigung in Europa, die durch die Rückholung der Lieferketten aus Asien noch weiter angeheizt wird. Obwohl die Nationalbanken dank ihrer Geldpolitik die Volkswirtschaft durch verschiedene Krisen führen konnten, wurden dadurch wirtschaftliche Bereinigungen aufgeschoben. Zahlreiche Betriebe, die unter normalen Marktbedingungen nicht "überlebensfähig" wären, binden unnötigerweise Arbeitskräfte. Eine gewisse Normalisierung der Geldpolitik würde es ermöglichen Bereinigungen zuzulassen und Arbeitnehmer wieder auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Jeder Konkurs ist aus betrieblicher und persönlicher Sicht schmerzhaft. Aus volkswirtschaftlicher Sicht sind wirtschaftliche Krisen jedoch ein wichtiger Teil einer dynamischen Marktwirtschaft.
G A S T K O M M E N T A R im Bündner Tagblatt vom 20. März von unserem Direktor Maurus Blumenthal