Arbeitsintegration und Arbeitskräftemangel : Menschen mit Handicap haben viel Potenzial

Über 160 Menschen haben bei der Stiftung Feschtland (ehemals BrockiGrischun) eine Arbeitsstelle, welche ihren Arbeitsmöglichkeiten entspricht. Die Plätze stehen Menschen zur Verfügung, die aufgrund eines psychischen oder physischen Handicaps in ihrer Leistung beeinträchtigt sind, eine IV-Rente beziehen oder am Rande der Gesellschaft stehen. Was Arbeitsintegration im Alltag bedeutet und wie wertvoll die Zusammenarbeit für KMUs ist, erklärt der Gesamtleiter von Feschtland Adrian Ciardo beim Besuch des «Bündner Gewerbes».

sg. Die Zeiten wandeln sich. Früher sei es für grössere Betriebe üblich gewesen, Menschen mit Handicap zu beschäftigen und die Stärken dieser Personen für den Betrieb zu nutzen, erzählt Ciardo. «Heute spüren wir eher das Gegenteil, dass diese Menschen kaum mehr Platz im ersten Arbeitsmarkt haben, meistens aus Ressourcengründen, denn diese Menschen brauchen in der Anfangsphase der Integration eine engere Begleitung.» Ciardo betont die Stärken von Mitarbeitenden mit Handicap. Sie seien für niederschwellige, repetitive Arbeiten geeignet, sie arbeiten genau und sind sehr loyal und dankbar. Die Mitarbeitenden mit Handicap erhalten in der Regel eine IV-Rente, Taggeld oder Sozialhilfe und werden von einer betreuenden Stelle zugewiesen. In den Werkstätten und Brockenhäusern erhalten sie wieder eine Arbeit und damit verbunden eine Struktur in ihrem Leben. Fachpersonen wie Jobcoachs, Arbeitsagogen und Sozialpädagogen begleiten die Personen über sechs bis zwölf Monate, bis sie wieder eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt antreten und darüber hinaus. «Wir finden für fast alle unsere Mitarbeitenden im ersten oder zweiten Arbeitsmarkt eine Anschlusslösung», zeigt sich Adrian Ciardo erfreut.

Regelmässige Aufträge von Bündner Betrieben

Die Menschen, die der Stiftung Feschtland zugewiesen werden, können aus unterschiedlichen Gründen über eine gewisse Zeit nicht im ersten Arbeitsmarkt tätig sein. Neben Unfällen und körperlichen Einschränkungen sind es psychische Ursachen wie Burn-out und Suchtproblematiken – leider zunehmend. Bei der Stiftung Feschtland lernen diese Personen, Schritt für Schritt ihre Leistung zu steigern. Es wird verpackt, gepresst, recycelt, neue Produkte hergestellt, Textilien bearbeitet oder auch Sensoren zusammengesetzt. Arbeiten, die sonst oft ins Ausland vergeben werden, können an verschiedenen Standorten in Graubünden ausgeführt werden. Einige Bündner Betriebe, meistens Stammkunden, schätzen die Nähe, Zuverlässigkeit und Qualität der geleisteten Arbeit. Die Stiftung stellt beispielsweise für die Firmen esave und Elesta Produkte her, welche weltweit vertrieben werden. Die Mitarbeitenden können auch in den Unternehmen vor Ort Aufträge ausführen. Interessierte Unternehmen können die Arbeitsleistung der Stiftung Feschtland unverbindlich in Anspruch nehmen. «Die Betriebe, die unsere Mitarbeitenden einstellen, profitieren nicht nur von einer sehr motivierten Arbeitskraft, sondern auch von der Sensibilität mit verschiedensten sozialen Themen wie Betriebliches Gesundheitsmanagement, den Umgang mit Burn-out oder die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen», erklärt Ciardo. Mit einer gelungenen Integration kann langfristig viel Geld im Sozialwesen eingespart werden. Eine der erfolgreichen Eingliederungen war ein Mitarbeiter, der nach verschiedenen Klinikaufenthalten die Alkoholsucht besiegt hatte, von den Fachpersonen begleitet wurde und inzwischen erfolgreich einen Werkbetrieb leitet.

Adrian Ciardo, Gesamtleiter mit Jürg (vorne), Janine und Chantal an einem angepassten Industriearbeitsplatz in der Feschtland Werkstätte in Chur

Wie Unternehmen Menschen mit Handicap einstellen können

Die Stiftung Feschtland unterstützt als Ansprechs- und Betreuungsstelle Unternehmen bei der Arbeitsintegration. Sie koordiniert die Arbeiten mit den verschiedenen Behörden und Versicherungen und erledigt die Formalitäten aus einer Hand. Die Unternehmen werden während der ersten Phase eng begleitet und brauchen kein spezifisches Fachwissen, um Personen im Arbeitsmarkt zu integrieren. Jedoch wird gerade in der Anfangsphase eine halbe Stunde pro Tag neben dem normalen Einführungsaufwand für die neue Person benötigt. Wie bei jeder Neuanstellung besteht auch hier eine gewisse Unsicherheit, ob der Arbeitsplatz passt oder nicht. «Bisher haben wir aber die Integration von praktisch allen Personen erfolgreich geschafft», so Ciardo. Das finanzielle Risiko für die Unternehmen, werde von der IV, respektive von den Zuweisern, mitgetragen. Leider sind diese Möglichkeiten der Integration vielen Unternehmen nicht bekannt. «Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels sei in diesem Bereich viel Potenzial vorhanden, den es zu nutzen gelte.» Jährlich schaffen 20–30 Mitarbeitende der Stiftung Feschtland den erfolgreichen Sprung in den ersten Arbeitsmarkt verschiedenster Bündner Betriebe.

Zur Stiftung Feschtland

Die Stiftung Feschtland ist ein Non-Profit-Unternehmen und versteht sich als Kompetenzzentrum für Arbeitsintegration. Sie beschäftigt über 160 Personen und betreibt Arbeitsintegration in vier Brockenhäusern und in fünf Werkstätten (Industrie, Recycling, Kreativ, Holz, Bike). Weitere Infos: www.feschtland.ch

Informationen Eingliederungsmassnahmen und IV

Die IV-Stelle Graubünden unterstützt Arbeitgeber bei der Einstellung von Mitarbeitenden mit Handicap und der Wiedereingliederung. Diverse Informationen zum Thema Eingliederungsmassnahmen sind auf der Webseite der SVA Graubünden zu finden, darunter auch die «Arbeitgeberbroschüre Eingliederungsleistungen».
Weitere Infos: www.sva.gr.ch

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